Grönland Trekking im Juli 2023
Dieser Inuit gab den Ausschlag, für unsere Trekking Reise nach Grönland.
Im Dezember 2022 sind wir zurück von unserer halbjährigen Reise im südlichen Afrika. Wir durchstöbern die Postsendungen der letzten paar Monate. Im SAC-Heft ist ein Tourenprogramm mit Reisen publiziert. Unter anderem eine Trekking-Reise nach Ostgrönland. Margrit’s Eltern waren anfangs der 1980er auf einer Trekking Tour in Ammassalik im rüstigen Alter von über 60 Jahren. Ende August 2022 campierten wir im Kibo Hotel in Marangu, das damals Ausgangspunkt für die Kilimanjaro Besteigung war. Diesen Berg bestiegen sie 1968. (https://www.landy-2-xplore.com/category/tansania-august-2022/).
Weshalb nicht auf den Spuren der Eltern weiterreisen?
Nach der Reise ist vor der Reise. Kurz entschlossen buchten wir das Trekking. Wir wollen sehen, woher die Inuit-Figur kommt, die die Eltern damals als Souvenir erstanden haben. Wie sieht die Landschaft aus, die arktische Natur? Wie leben die Kalaallit, das indigene Volk, auf dem schmalen eisfreien Küstenstreifen in Ostgrönland? Wie haben sich die Lebensumstände der ehemals jagenden und nomadisierenden Kalaallit hin zur Sesshaftigkeit verändert?
Mit 2’166’000 Km2 ist Grönland (oder Kalaallit Nunaat / Grönländisch) 52 x grösser als die Schweiz. Die 56’600 Bewohner leiden wahrlich nicht unter Dichtestress…. Zugegeben, 1’800’000 Km2 lassen sich nicht so dicht bebauen wie das Schweizer Mittelland, ist doch der grösste Teil vom bis über 3000 Meter dicken Inlandeisschild bedeckt.
Die südliche Westküste ist vom maritim-subpolaren Klima geprägt. Da ist es wärmer als im Osten. Hier befindet sich die Hauptstadt Nuuk mit 19’000 Einwohnern. Universität, Krankenhaus, da blüht der Tourismus.
Ostgrönland ist vom arktischen Klima geprägt. Zum Glück. Die fehlende touristische Infrastruktur hält (asiatische) Influencer und Instagram-Fotografen ab, sodass die karge, eisige, empfindliche Natur hoffentlich noch lange intakt bleibt. Die von der Netflix-Serie angelockten Massentouristen, welche Iseltwald (Bernoberland) überfluten, um ein Instagram-Bildli zu posten, der Bevölkerung kein Einkommen verschaffen und nur Müll hinterlassen, brauchts hier nicht! Klimaerwärmung ist das eine, Overtourisme das andere Übel.
Der Osten Grönlands hat ein 2000 Km langes und 100 Km breites Gebirge. «Schweizerland». Die Gebirgskette mit der höchsten Erhebung Mont Forel 3’400 m hoch, wurde 1912 vom Schweizer Geophysiker Alfred de Quervain erforscht. Einzelne Fjorde, die nur in den Monaten Juli bis Ende Oktober mit den monatlichen Versorgungsschiffen angesteuert werden können, sind sehr dünn besiedelt. Tasiilaq, der zweitgrösste Ort Grönlands mit rund 2’000 Einwohnern, entstand 1894 nur, weil hier Lodden, eine kleine Lachsfischart vorkommt, die in früheren Zeiten in den langen Wintermonaten das Überleben ermöglichten.
Freitag, 30. Juni; Flug nach Kulusuk
Wir fliegen mit Icelandair in 1 ½ Stunden von Keflavik nach Kulusuk. Der Ort, mit dem kleinen Flughafen mit Gravelpiste zählt lediglich 275 Einwohner. Unsere Gruppe leitet Bergführer Martin, stehts bewaffnet mit einem Gewehr, mit 5 Schrotpatronen als Schutz gegen Eisbären. Die Teilnehmer heissen Bruno, Patrick, Brigitte, Markus, Louis, Rolf, Margrit, Beatrice, Brigitta und Mary, alles erfahrene BergsteigerInnen (Spitzbergen, Nepal, Bhutan, Patagonien, Ecuador, Bolivien). Eine kameradschaftliche und fitte Truppe.
Auf dem Flug mit der Propellermaschine sehen wir erstmals das viele Packeis im Polarmeer, soweit das Auge reicht. Was für ein eindrücklicher Anblick! Wo ist da ein Durchkommen mit dem kleinen Motorboot? Das Packeis schiebt sich vom Polarmeer mit dem Wind und der Flut in die Fjorde.
Die erste Programmänderung steht an. No worries, kein Problem; wir haben Abenteuer und Flexibilität in herrlicher arktischer Natur gebucht. Auch die vielen Stechmücken lassen sich ausblenden und negieren. Die Fahrt mit dem kleinen, offenen Boot ginge 2-3 h durch den Angmagssalik Fjord, den Ikáteq, an das Ende des Sermiligâq Fjords zum Kârale Gletscher, wo das erste Zelt Camp wäre, ist nicht möglich. Die Fjorde sind vollgepackt mit Eisschollen; kein Durchkommen.
Nach dem Security-Check wird uns mitgeteilt, dass auch kein Durchkommen nach Tasiilaq mit dem Boot möglich ist. Wir sind die einzigen Touristen, die weiterwollen. Somit bleibt nur der viertelstündige Flug mit dem Helikopter (H155 von Airbus, konzipiert für 13 Pax und 2 Piloten).
Nachdem wir unser Gepäck in der Unterkunft, wo wir für zwei Tage nächtigen, deponiert haben, geht die erste Wanderung auf einen Aussichtspunkt mit Blick zum Polarmeer und auf Tasiilaq.
Samstag, 1. Juli; Kung Oscar Havn
Das kleine, offene Boot mit einem 150 PS Aussenborder, gerade mal Platz für uns alle, bringt und ans hintere Ende des Kong Oscar Havn. Die Wanderung in weglosem Gelände führt auf einen Hügel, von dem ein herrlicher Blick über den Qordlortoq Sø (See) möglich ist. Im Winter führt eine mehrstündige Hundeschlittenfahrt zum kleinen Ort von Tiniteqilâq, da die Fjorde alle zugefroren sind. Anschliessend wandern wir um den Fjord zurück nach Tasiilaq. Auch die Stechmücken – die Biester begleiten und die nächsten Tage – lassen sich weitgehend ausblenden und negieren (mit Antibrumm).
Im Dorf angekommen, hatte ich Lust auf ein kleines Carlsberg Bier. Aber das Regal im Shop war leergefegt, staubtrocken. Die leeren Dosen waren verstreut an den Wegrändern. Resten des nächtlichen Durstlöschens. Gestern war nämlich «der monatliche Zahltag». Zudem legte das monatliche Versorgungsschiff im kleinen Hafen an und brachte Nachschub…. Die Inuit erhalten vom Staat Geld, um das tägliche Leben zu bestreiten. Die Kehrseite der Veränderung von der Jäger-Sammler Kultur zur Sesshaftigkeit, welche die dänische Regierung befürwortet. In Tasiilaq haben von den rund 1’700 Erwachsenen lediglich noch 87 Menschen eine Jäger & Fischer-Lizenz gelöst (Statistik 2022).
Ist die Bootsfahrt morgen durch den Ikâsartivaq Qôneq möglich oder nicht? Falls nicht, hätten wir die einmalige Gelegenheit, an der Konfirmation der Jugendlichen in ihrer Festtagstracht teilzunehmen.
Sonntag, 2. Juli; Zelt Camp auf Sarpaq
Ein Drohnenflug morgens um 7 Uhr klärt auf, dass die Fahrt durch den Ikâsartivaq Qôneq mit Zwischenhalt nach Tiniteqilâq um Trinkwasser zu Bunkern, möglich sein sollte.
Auf der Halbinsel errichten wir unser Camp für die nächsten vier Tage. Wir errichten die Zweierzelte auf Felsen, bauen das Küchenzelt auf und buddeln das Loch im WC-Zelt. Der Gang hinter den nächsten Stein und Papierfetzen in der Landschaft verteilt sind ein absoluter No-Go. Die arktische Natur ist äusserst empfindlich. Wie auf Island, sind auch hier die Verletzungen der spärlichen Vegetation währen 20 oder 30 Jahren sichtbar.
Im Küchenzelt bekocht uns Martin abends mit ausgezeichneten Menüs. Das Gemüse trocknet er minutiös vor der Reise. Rüebli (nein, nicht Karotten), Tomaten, Gurken, Peperoni, Zucchetti und Pilze werden in Dosen abgefüllt. Reis, Teigwaren, Kartoffelstock sind die nötigen Kohlenhydrate für die 5–7-stündigen Wanderungen und Klettereien über Granitblöcke und Gneissfelder.
Mit Bergführer Paulin, er stürzte leider im August 2020 am Schaligrat des Weisshorns ab, bestiegen wir diesen Berg (https://www.landy-2-xplore.com/hoehe-weite-xplore/; Bild mit Gipfelkreuz). Er zeigte mir seinen speziellen Doppelknopf, die Bergschuhe zu binden. Dieses Wissen lebte auf Grönland weiter; Bruno übte fleissig.
Abends hatten wir Musse, Sonnenuntergänge und Lichtreflexe in Eisschollen zu fotografieren.
Montag, 3.7; Ilertâjik 417 m
Zwei Kalalliit holen uns mit Booten ab und schippern uns nach Tiniteqilâq. Im kleinen Ort leben 120 Menschen, die vorwiegend vom Fischen und Jagen (Robben) leben. Seelachs und Arctic Char trocknen vor der Hauswand. Auch ein Eisbärenfell trocknet auf einem Gestell. Ein männlicher Nanoq (Inuitname für Eisbär) wiegt bis 700 Kg und ist aufgerichtet bis 3 Meter gross. Sie können kurzfristig 30 Km/h speeden. Sie jagen 50 bis 100 Robben jährlich. In der Arktis leben schätzungsweise lediglich noch 20’000 bis 27’000 Eisbären. Die lizenzierten Jäger dürfen auf Grönland nur 150 Tiere jährlich erlegen.
Jeden Abend legen wir unseren Proviant in eine Alukiste im Küchenzelt. Die Sicherheitsabstände der Schlafzelte sind mindestens 50 Meter.
Also, lieber das Fell auf dem Gestell als der Koloss vor dem Schlafzelt. Wie beschrieben, trägt Martin auf den Wanderungen immer seine Schrotflinte mit.
Wir wandern über gras- und felsdurchzogene Bergrücken hinauf zum Hausberg von Tiniteqilâq, den Ilertâjik 417 m. Unterwegs hatte es zahlreiche kleine Seelein.
Vom Gipfel ist der Blick auf die Eisschollen des Helheim-Gletschers, der 12 Km jährlich in den Fjord wächst, atemberaubend. Spektakulär ist der Blick auf die Berge über dem Ikâsartivaq Fjord, durch den wir vor zwei Tagen mit dem Boot zum Camp 1 gefahren sind.
Dienstag, 4. Juli; Nûgalik, 612 m
Heute steht ein weiteres Highlight auf dem Programm. Die 1-stündige Bootsfahrt durch den Sermilik Fjord zum Ausgangspunkt unserer Wanderung auf den Nûgalik, 612 m.
Vom Gipfel ist die Aussicht gewaltig. Den Sermilik hinauf mit unzähligen Eisschollen bis zu den Schneegipfeln des «Schweizerlandes» (vgl. 29.Juni) und ostwärts bis zum Polarmeer.
Mittwoch, 5. Juli; Atingeq, ca 300 m
Heute führt eine etwas kürzere Wanderung auf den Hausberg des Camp 1, den Atingeq. An Nachmittag blieb noch Zeit, um zu Fischen. Ja, ich nahm eine Reiserute und 100 Gramm Pilker mit. Die Erwartungen wurden aber nicht erfüllt. Keine Seeforellen, keine Heilbutt, keine Dorsche. Niemand war zu Hause. Niemand liess sich zum Jagen auf den Köder verleiten. Kunststück. Die Inuit fischen mit Netzen vom Boot aus, und nicht von den Felsen runter. Henusodenn. Martin, mit seinen leckeren Menüs, war eine verlässliche Alternative für hungrige Mägen.
Donnerstag, 6. Juli; Camp 2 errichten
Funktioniert es, funktioniert es nicht, die Bootsfahrt über den Sermilik Fjord zum Johan Petersen Fjord. Der Petersen war die letzten Tage vollgestopft mit Eisschollen. Wir fahren mit zwei kleinen Booten, eines für uns, eines für Gepäck, während 1 ½ h zum neuen Camp. Der Platz liegt auf lieblichem Wiesengelände, das von zwei Bächen durchflossen wird.
Traumhafter Ausblick auf den Petersen Fjord mit mächtigen Eisschollen, die von den Gletschern des Inlandeises stammen.
Freitag, 7. Juli; Camp Berg
Nach dem reichlichen Frühstück mit Müesli, Brunos Porridge, Käse, Wurst und Butterbroten packten wir die Rucksäcke. Ziel war heute der vorgelagerte Berg zum Pingertuit, 1200 m. Über Blockfelder stiegen wir im Zick Zack höher und höher. Die Sonne wärmte und die Mücken schwärmten. Auf dem Gipfel hatten wir Durst und Hunger. Bündner Salsiz und Tee waren die Lösungen des Problems. Auch Thomy Mayonnaise à la Française war vertreten. Beim Abstieg zum Gletscherbach runter sahen wir Schneehühner im Sommerfrack.
Samstag, 8. Juli; Aussichtsberg über dem Hann Gletscher
Heute geht’s durch den eiskalten, 15 Meter breiten Gletscherbach. Barfuss und nass bis an die Unterhosen hinauf. Ohne die «Bachtaufe» sei man nicht in Grönland gewesen, tröstete uns Martin. Weiter geht’s über Blockfelder mit mächtigen Quadern. Mehr als Trittsicherheit war gefordert – eher Trapezkünstler-Balance. Weder Quader noch Bachdurchquerung liess Musse zu fotografieren. Auf dem Gipfel sehen wir die kaskadenförmigen Abbrüche des Heimgletschers und Kagtilersorpia. Im Johan Peterson Fjord liegt die Ingmikêrtikajik Insel, welche den Gletscherkaskaden vorgelagert ist. Das wäre doch noch ein würdiges Abschlussziel?
Sonntag, 9. Juli; Ruhetag
Margrit hatte sich gestern eine kräftige Schnatte (Platzwunde) am Schienbein in den Blockfeldern eingefangen. Deshalb machen wir Ruhetag mit fotografieren ums Camp lesen und chillen.
Montag, 10.7.; Ingmikêrtikajik Insel
Wir brechen die Zelte ab und hinterlassen die Wiese unversehrt und ohne Spuren, dass wir hier campierten. Um 10 kommen die beiden Boote angefahren, eines fürs Gepäck, eines für uns. Wir fahren zur Nordspitze der Ingmikêrtikajik Insel, wo die Inuit eine geeignete Stelle suchen, damit wir aussteigen können. Wir wandern 3 Stunden über die hügelige Insel, die schöne Gneiss Strukturen und Bergseelein hat. Auf dem Gipfel sehen wir die Abbrüche des Bückner Gletschers zum Greifen nahe und wie die mächtigen Eisschollen im Fjord Richtung Polarmeer treiben.
Das war ein würdiger Abschluss der Touren auf Ostgrönland. Die Boote holten uns an der Südspitze ab. Wir eingehüllt in dicke Daunenjacken fuhren wir 2 Stunden durch den Sermilik Fjord zum Polarmeer hinaus und um die Angmagtalik Insel herum nach Tasiilaq.
Dienstag, 11. Juli; Tasiilaq
Nach dem Frühstück streifen Margrit und ich durch das Dorf. Wir suchen die Künstlerwerkstatt auf. Hier erstellen Kalaallit aus Rentierhorn oder Knochen Tupilaks. Das sind Monster mit menschlichen Gesichtern und Tierkörpern. Die Figuren wurden früher gefertigt, um Feinde zu bezwingen und Böse Geister zu vertreiben. Das Horn stammt von der Westküste, wo es jahrelang im moosigen Torf lag. Deshalb die teilweise grünliche Färbung. Einer der Künstler heisst Karl; dazu etwas mehr am Schluss.
Am Hafen reinigt ein Jäger, der eine Robbe erlegt hatte, sein Boot. Die alte Kirche (1908) dient heute als Museum und zeigt Exponate wie Tupilaks, Kajaks und eine Fotoausstellung.
Ein riesiges Bärenfell hängt an der Wand unserer Unterkunft. Mit dem Quad an den ATM. Kinderreiche Familie oder KiTa, wir wissen es nicht. Fortbewegungsmittel im Sommer (Boot) und der Passepartout (Hundeschlitten) des Winters. Auch hier ist das Trampolin, das bei uns vor 20 Jahren Mode war, angekommen. Kaputte Gegenstände liegen im Dorf herum. Vielleicht weil die Ersatzteile oder das Knowhow fehlt. Oder weil das heutige, kulturelle Verständnis fehlt. Als Jäger & Sammler gab es keinen Abfall. Alles vom erlegten Tier wurde verwendet. Fleisch für Nahrung, Felle für Kleider, Knochen für Werkzeuge, Holz für Schlitten oder Jagdwaffen. Die heutige Zivilisation besteht aus Konsumgütern, die weggeschmissen werden, wenn sie kaputt sind.
Mittwoch, 12. Juli, Rückflug nach Reykjavik.
Ein letzter Blick auf Tasiilaq. Ein Zwergweidenröschen, die Nationalblume Grönlands, auf dem Weg in den Hafen. Dann mit dem Boot nach Kulusuk.
Als Souvenir kommt ein Eisbär aus Speckstein, von Karl gefertigt, nach Hause. Er steht jetzt bei der Inuit-Figur auf dem Büchergestell. Der Kreis hat sich geschlossen. Eine herrliche, unvergessliche Reise geht zu Ende. Nach der Reise ist vor der Reise; hoffentlich noch lange!